Um ehrlich zu sein, hatte ich noch nie davon gehört. Wie ist das möglich, denn wenn jemand Geschichten liebt, dann bin ich das. StoryTrail gibt es offenbar schon seit 20 Jahren und erzählt Geschichten in den ganzen Niederlanden! Einen Moment lang habe ich also nicht aufgepasst. Vielen Dank an Henke Lever für die Einladung! Der Initiator und Regisseur hat in der Zeit meiner Unwissenheit ein stattliches Geschichtenimperium aufgebaut. Wir lassen unsere Agenda entscheiden, welche Stadt die spannendsten Geschichten hat. Es wird Middelburg, und so lernen wir Johannes (das Alter Ego des Geschichtenerzählers Bart Schouten) kennen.
Auf dem Marktplatz von Middelburg sehen wir eine Gruppe von Zuhörern und einen charismatischen Mann mit einem Hut. Es ist nicht zu übersehen, wir haben unsere Begleitung für den Nachmittag gefunden. Das Wetter ist sonnig und Middelburg zeigt sich von seiner besten Seite. Nach einer kurzen Einführung gehen wir zum imposanten Rathaus. Je näher wir kommen, desto imposanter wirft es seinen Schatten auf uns. Wir blicken ehrfürchtig nach oben. Johannes erzählt uns, dass die Gräber an der Fassade nicht zufällig dort angebracht wurden. Auf der linken Seite liegen die Männer, die mit dem Holländisch Haus verwandt sind, auf der rechten Seite die anderen Blutlinien. Der interessanteste Mann entpuppt sich als Willem II. (1227-1256). Ich hätte nie gedacht, dass er einmal zum Kaiser gekrönt werden würde.
Wilhelm II. entpuppt sich als Zeeuw im Herzen und ist äußerst beliebt. Nicht nur bei den Menschen in Zeeland, sondern auch weit über die Landesgrenzen hinaus. Und diese Popularität führte dazu, dass er in Rom zum Kaiser gekrönt wurde. So weit sollte es nicht kommen, und was für eine unglaubliche Geschichte das mit sich bringt. Irgendwas mit West-Friesen, 10.000 Söldnern und einem zugefrorenen See, dessen Eis sich als nicht dick genug erwies. Wilhelm war sich darüber im Klaren: Wenn es zu Ende geht, möchte ich in Zeeland begraben werden. Sein Sohn Floris V. erfüllte diesen Wunsch 26 Jahre später, indem er den Leichnam seines Vaters in der friesischen Stadt Hoogwoud bestatten ließ. Ein Unterfangen, mit dem er eine neue denkwürdige Geschichte zum Abschluss des Lebens seines Vaters schrieb. Wilhelm II. ist also auf dem Abteiplatz in Middelburg begraben, mit freundlicher Genehmigung seines Sohnes.
Wir spazieren weiter durch die Stadt und bestaunen die wunderschönen Fassaden, die sich unendlich oft ändern. Wenn die Wände doch nur sprechen könnten… Wir erreichen das Haus von Jacob Cats. Er lebte auf dem Höhepunkt der Blütezeit Middelburgs (1577-1660). Als Stadtjurist und Staatsmann genoss er nicht nur Ansehen, sondern war auch als Dichter sehr beliebt. Der in Brouwershaven geborene Dichter schaffte es, mit seiner verständlichen Sprache alle Bevölkerungsschichten zu erreichen. Seine oft lehrreichen Texte brachten ihm den Spitznamen Vater Cats ein. Viele Sprichwörter, die wir heute noch verwenden, stammen aus seiner Feder. Sie kennen sie wahrscheinlich: Ruhe, Rost. Kinder sind eine Plage, ein Affe mag einen goldenen Ring tragen, aber er ist und bleibt immer noch ein hässliches Ding, die besten Freunde sind an Land, Home sweet home, Think before you leap. Wie schnell die Lüge auch sein mag, die Wahrheit wird sie einholen. Und in der Tat war das Catshuis unseres derzeitigen Premierministers in Den Haag einst das Landhaus von Jacob Cats in der Sorghvliet.
Wir fahren durch Tore, über Brücken, nehmen Abkürzungen durch enge Gassen, die wir allein nie gefunden hätten. Zwischendurch halten wir an, um eine weitere Geschichte zu hören. Diesmal werden wir den Herren Roggeveen vorgestellt. Papa Arent war Kartograph, Mathematiker, Astronom, Geograph, Seefahrer und Literat. Ein fähiger Mann, mit anderen Worten. Und all diese Fähigkeiten dienten seiner Besessenheit, Zuidland zu finden. Er verkündete, dass die Erde nicht flach sei, und fertigte Seekarten für eine Entdeckungsreise an. Sein Leben erwies sich als zu kurz, aber sein Sohn Jacob schaffte es schließlich, im Alter von 62 Jahren von der West India Company auf eine Entdeckungsreise geschickt zu werden. Er brach mit den Karten seines Vaters auf und entdeckte am 5. April 1722 die Osterinseln. Vielleicht ist es etwas überflüssig zu erwähnen, dass dies genau an Ostern geschah. Ein bisschen schade, dass er Zuidland verpasst hat, aber was er mit nach Hause nahm, waren natürlich die beeindruckenden Geschichten. Johannes teilt einige salbungsvolle Anekdoten mit uns. Ich wusste gar nicht, dass Middelburg einen bedeutenden Entdecker hervorgebracht hat!
Wir machen uns auf den Weg zur letzten Etappe unserer eigenen Erkundung. Wir hören eine weitere Geschichte über gefälschte Münzen und einen Brillenmacher. Und welcher Middelburger hat eigentlich das Fernrohr erfunden? Johannes weiß uns das alles sehr anschaulich zu erzählen. Er kann uns sogar verraten, warum die Middelburger den Spitznamen „Maneblusser“ haben. Ich werde nicht verraten, wie das genau ist, aber es hat mit einem Feuer zu tun, das nie gelöscht wurde. Auf dem Abdijplein verabschieden wir uns von Willem II. und Johannes. Wir danken Bart Schouten für seine wunderbaren Geschichten. Wir sehen Middelburg jetzt mit anderen Augen, und das ist es, was diesen StoryTrail so interessant macht. Der Spaziergang dauerte etwa anderthalb Stunden und lässt sich sehr gut in einen Tagesausflug nach Middelburg einbauen. Vor allem im Frühjahr und Herbst werden regelmäßig Wanderungen angeboten, siehe www.storytrail.nl. Rechtzeitig buchen, denn voll ist voll. Wir werden einen Drink auf einer Terrasse nehmen, denn man muss die Rezension natürlich ernst nehmen 😉
Liebe,
Anna