Stadswandeling Tholen

An einem fotogenen Samstag finden wir uns um 11:00 Uhr im JuNa ein. Auf der Terrasse herrscht bereits reges Treiben, denn zeitgleich mit unserem Stadtrundgang findet ein Treffen ehemaliger Kollegen statt. Während die Limburger die Nordholländer umarmen, betritt Piet Quist in seiner erkennbaren Reiseleiterjacke die Terrasse. Nach einer fröhlichen Begrüßung weist er uns darauf hin, dass wir nach dem Stadtrundgang gerne bezahlen können, da es sich zweifellos lohnen wird und wir sicher nicht auf halbem Wege abhauen werden. Unser selbstbewusster Führer entpuppt sich als Architekturdozent mit einer großen Liebe zur Kunst& Technik.

Trocken in Tholen
Wir klettern zunächst auf den Deich gegenüber von JuNa und Piet zeigt uns, wie der Hafen früher ausgesehen haben muss. Bildlich gesprochen erzählt er von der Gezeitenmühle, die einst der Stolz von Tholen war. Das Besondere an Tholen ist, dass sowohl das Süß- als auch das Salzwasser immer durch die Festungsanlagen gebändigt werden musste. Eine clevere Sache, wenn man bedenkt, dass Tholen sogar während der Flutkatastrophe trocken blieb. Und obwohl es auf der Insel sogar Funde aus der Eisenzeit (etwa 200 Jahre vor Christus) gibt, wurde erst 1928 eine Brücke für Tholen gebaut. Der Fluss De Eendracht war damit nicht mehr unter Kontrolle und die T(h)olhebung war damit auch vorbei.

Vorbei die Zeit der Austern
Tholen ist seit Jahrhunderten ein Fischerdorf, und was vielleicht nicht jeder weiß, aber Pete natürlich schon, ist, dass es in Tholen bis 1963 genauso viele Austernfarmen gab wie in Yerseke. Mit dem Bau der Deltawerke und der Verwüstung der Unterwasserwelt durch den besonders strengen Winter 1963 ging eine (Austern-)Ära zu Ende.

Kuriose Versicherungspolice
Als wir uns dem Zentrum nähern, weist uns Pete auf ein Emblem an der Wand eines der Häuser hin. Die Buchstaben OBWM sind deutlich lesbar, aber keiner von uns kann sich daran erinnern. Wie hätten wir auch ahnen können, dass es sich um eine Versicherungspolice handelt? Immerhin stehen die Buchstaben für Onderlinge Brand Waarborg Maatschappij, und so wussten die Feuerwehrleute früher genau, welches Haus Prämien gezahlt hatte und deshalb zuerst gelöscht werden musste. Piet reiht mit Leichtigkeit Anekdoten und historische Fakten aneinander, aber nie ohne zwischendurch auf architektonische Fakten hinzuweisen. Fachausdrücke und Hintergründe machen uns schnell schwindelig und wir können nur hoffen, dass wir am Ende der Wanderung nicht mit einem Test konfrontiert werden 😉

Eine Straßenbahn in Tholen?
Unser nächster Überraschungsmoment ist, als wir feststellen, dass wir die Straßenbahnschienen von Tholen schon oft entlanggelaufen sind. Eine Straßenbahn in Tholen? Ist so etwas nicht den Großstädten vorbehalten? Ungläubig lauschen wir der Geschichte, die am 15. September 1882 beginnt. An diesem Tag wurde die Straßenbahn von Antwerpen zwischen Bergen op Zoom und Tholen eröffnet. Erst nach dem Bau der alten Tholener Brücke im Jahr 1928 hielt die Straßenbahn in der Stadt selbst. Davor gab es eine Fährverbindung. Piet weist uns auf das kreative Straßenkunstwerk hin, das die ehemalige Straßenbahnlinie im Stadtzentrum markiert. Eine schöne Hommage der Gemeinde Tholen an diese längst vergangene Zeit. Und auch das historische Straßenbahnhaus ist inzwischen restauriert worden.

Leichtgläubig
Wir setzen unseren Spaziergang fort und gelangen zu der imposanten Kreuzbasilika. Mit dem Bau der Liebfrauenkirche wurde 1460 begonnen. Nach mehr als 60 Jahren Bauzeit blieb die Basilika unvollendet. Tholen war die letzte Stadt Zeelands, die an den Prinzen Wilhelm von Oranien fiel. Im Jahr 1578 wurde De Grote Kerk geplündert. Die Katholiken in Tholen mussten von da an in der Lepelstraat zur Kirche gehen. Piet erklärt, dass es ihnen nicht leicht gemacht wurde. Aus einem alten Vertrag mit der damaligen Fährgesellschaft ging nämlich hervor, dass es verboten war, Katholiken an Sonntagen zu übersetzen.

Die ertrunkene Stadt
Schließlich halten wir am ehemaligen Rathaus. Es wurde in der gleichen Zeit wie die Basilika erbaut und ist auf seine eigene Weise beeindruckend. Das Gebäude beherbergt heute eine besondere Sammlung von kunsthistorischen Gegenständen wie die Privilegienkiste. In ihr wurden die Stadtrechte von 1366 bis 1929 aufbewahrt. Außerdem beherbergt es Gemälde des Malers Marinus van Reijmerswale. Es gibt sogar eine Ausstellung, die der ertrunkenen Stadt Reymerswael gewidmet ist. Ein Besuch lohnt sich!

Am Ende unseres Spaziergangs müssen wir unserem Führer Piet Quist zustimmen: Es hat sich mehr als gelohnt und keiner von uns ist weggegangen. Die Erkundung einer Stadt unter der Leitung eines Stadtführers, der sich für die Stadt begeistert, war wieder einmal ein Genuss! Wir bedanken uns bei Pete und verrechnen gerne unser Ticket. Und jetzt schnell zurück ins Restaurant JuNa, um all die Informationen bei einem Getränk noch ein wenig nachwirken zu lassen😉

Liebe Grüße,

Anna